Wie ich zum Schreiben kam
Es muss Anfang der 1970er Jahre gewesen sein, als ich in meinem Heimatdörfchen nahe der französischen Grenze als Elfjähriger eine Entdeckung machte, die mein Leben veränderte. Die „Begegnung der übernatürlichen Art“ fand im örtlichen Tante-Emma-Laden statt, in einer Nische zwischen Eingangstür und Kassenbereich. Dort, zum Schaufenster hin, stand ein offener Karton, in dem aufrecht geschätzt vierzig, fünfzig Romanhefte standen, deren Titelbilder mir vorher nie ins Auge gesprungen waren – vielleicht, weil ich da noch nicht „so weit“ gewesen war. Noch nicht bereit für das Abenteuer, das damals begann und in gewisser Weise nie mehr aufhörte.
Phantasie war das Zauberwort. Heute würde man Kopfkino sagen. Ich war schon längere Zeit regelmäßiger Kunde der Städtischen Leihbücherei gewesen (auch so ein magischer Ort), aber die Heftchen im Karton übten sofort eine ganz eigene Faszination auf mich aus, vor allem die, auf denen Weltraum- und Zukunftsmotive lockten. Damals lernte ich einen gewissen Herrn Rhodan kennen, Perry Rhodan, und fortan war es um mich geschehen. Schon als unter Zehnjähriger hatte ich TV-Serien wie „Raumschiff Enterprise“ und „Invasion von der Wega“ verschlungen. Aber an das, was ich „aus dem Karton des Herrn Noe“ – so der Name des Ladenbesitzers, der leider schon verstorben ist und auch den Laden gibt es schon lange nicht mehr – heraus kennenlernte, reichte das alles nicht heran. Perry Rhodan packte mich vom ersten Heft an. Es war Folge 542 „Die Stunde des Zentauren“, der Autor war H.G. Ewers, und ich verstand in vielerlei Hinsicht nur Bahnhof. Trotzdem wollte ich mehr von diesem „Stoff“. Viel mehr. Also wurden erst einmal Hefte nachbestellt. Aber nicht nur das: Auf der Leserseite (als Institution damals eine rühmliche Ausnahme, verglichen mit Genres wie Western oder Krimi) erfuhr ich, dass es Clubs gab, in denen sich Gleichgesinnte austauschten oder sogar Treffen organisierten. Fundamentaler Bestandteil solcher Clubs waren die von ihnen herausgegebenen „Fanzines“ (Fanmagazine, im damals üblichen Spirit-Carbon-Vervielfältigungsverfahren hergestellt, Auflage um die 100 Exemplare), in denen Fans für Fans eigene Geschichten veröffentlichen konnten – wovon ich nach einiger Anlaufzeit auch weidlich Gebrauch machte.
In der Zeit hörte ich zum ersten Mal von einem gewissen Werner Kurt Giesa, einem mehr als rührigen Autor und Herausgeber einer Unzahl eigener Serien (in eben jenem Spirit-Carbon- oder Matrizen-Druckverfahren hergestellt). Der Kontakt war schnell hergestellt, und Meister Giesa ermöglichte mir erste Veröffentlichung in seinem „Verlag“. Michael Nagula wiederum, ein glühender Verehrer von Willi „William“ Voltz, dem besten (ich weiß, Geschmackssache) aller Perry Rhodan-Autoren, ermunterte mich, an einem von besagtem William Voltz und dem Pabel Verlag initiierten Story-Wettbewerb innerhalb der hauseigenen SF-Reihe Terra Astra teilzunehmen. Ich war sofort Feuer und Flamme und schrieb zuerst eine Story mit dem Titel „Aggressor und Pazifist“, die mein damaliger Klassenlehrer (ich grüße ihn herzlichst!) freundlicherweise lektorierte, bevor ich sie einreichte. Es folgte noch eine zweite Geschichte („Eines fernen Tages“), die ich nachschob und die es dann auch tatsächlich in das Heft mit den „besten Kurzgeschichten deutscher Nachwuchsautoren“ schaffte, wie es beworben wurde.
… und wie es weiterging
Von diesem Erfolg beflügelt – immerhin gab es sogar ein erstes bescheidenes Honorar – musste ich nicht lange überlegen, als die Romanagentur Grasmück, gegründet und betrieben vom Autor Dan Shocker, an mich herantrat, weil sie in der Fanszene nach Leuten Ausschau hielt, denen sie zutraute, auch längere Sachen (bis dahin waren es ja nur Kurzgeschichten, bei denen die starke Betonung auf „kurz“ lag) zu schreiben, allerdings nicht in dem von mir heiß geliebten SF-Genre, sondern im Horrorbereich, und zwar in den damals angesagten Reihen von Zauberkreis (Silber Grusel Krimi), Bastei (Gespenster-Krimi) und Pabel (Vampir Horror Roman).
Gesagt, getan, es entstand und wurde verkauft: „Das Schattenreich lässt zittern“ – Arbeitstitel: „Gehirn des Grauens“ – auch nicht soo viel besser 😉 – unter dem Agenturpseudonym Roger Damon, das ansonsten Roland Rosenbauer für seine UWA-Romane vorbehalten blieb.
In der Folge steuerte ich überwiegend Romane zu den Bastei-Serien/-Reihen Gespenster Krimi, Damona King und Professor Zamorra bei, darunter – der Kreis schließt sich – viele Co-Produktionen mit Werner Giesa. Es stellte sich nämlich heraus, dass wir schreibtechnisch auf einer Wellenlänge lagen und wir uns intuitiv in Handlungsstränge des jeweils anderen hineindenken konnten, um sie so fortzuführen, dass der normale Leser die Übergänge gar nicht bemerkte.
Dieses intuitive Verständnis wiederholte sich später dann in der Zusammenarbeit mit Timothy Stahl für die Vampira-Serie und andere Projekte.
Aber ich greife vor. Bevor der – für mich – legendäre erste Anruf (es gab Jahre später einen zweiten und noch einmal später einen dritten) von Michael Schönenbröcher kam, gleichzeitig der Startschuss für die Entstehung von „Vampira/Das Volk der Nacht“, legte ich eine knapp dreijährige Schreibpause ein, weil ich einfach keine Lust mehr hatte. Die Pause tat mir dahingehend gut, dass ich es irgendwann doch wieder probieren musste. Ich knüpfte also erste zarte, neue Kontakte zum Hause Bastei und der damals für den Mitternachtsroman zuständigen Redakteurin, Frau Bönnen, die sich ganz angetan von meiner Schreibe zeigte, sodass gut zwei Dutzend Romane unter meinem Pseudonym Sarah Moon erschienen und sie mich verlagsintern an Mike Schönenbröcher weiterempfahl. Der wiederum gab mir die Chance, bei dem von ihm betreuten Trucker King mitzuschreiben, eine Mischung aus amerikanischer Highway-Romantik und Dallas-Intrigenspielen. Das alles ließ sich so gut an, dass mich der Ehrgeiz packte, auch beim Flaggschiff des Verlags, Jerry Cotton, anzuklopfen. Ich schrieb ein Exposé für die Reihe, reichte es ein, bekam grünes Licht und verfasste „Der lebende Tod“… mit geradezu überwältigender Resonanz. Damals wurde noch jeder Roman von einem Juristen daraufhin abgeklopft, ob er jugendgefährdende Elemente enthielt, und der für Cotton zuständige Prüfer formulierte für die Redaktion auch immer gleich ein kleines Fazit mit, für wie gut oder schlecht er den jeweiligen Roman befand. Im Falle des „Lebenden Todes“ überschlug er sich offenbar dermaßen (positiv), dass der Chefredakteur sich veranlasst fühlte, mich in den Verlag einzuladen. Bei einem Mittagessen eröffnete er mir, der Roman sei nach einhelliger Meinung sowohl des Prüfers als auch des Außenlektors (zu jener Zeit Joachim Honnef) als „der beste Cotton seit Jahren“ bewertet worden – und ob ich nicht Lust hätte, mehr, sehr viel mehr, für die Reihe zu schreiben.
Und ob ich Lust hatte! Wer würde da schon nein sagen? Und so entstanden 25 Jerry Cottons, auf die ich auch heute noch stolz bin. Wahrscheinlich wären es noch sehr viel mehr geworden, hätte mich nicht 1994, knapp drei Jahre nach meinem Einstieg bei Cotton, der zweite wegweisende Ruf aus dem Verlag ereilt, diesmal von Meister Schönenbröcher, der mir trocken erklärte, man wolle eine neue Gruselserie starten, irgendetwas mit Vampiren, und wir beide, er und ich, sollten schnellstmöglich ein Konzept vorlegen.
Ich hatte bis dahin mit Vampiren (oder Vampirinnen, denn dahin sollte die Reise gehen) trotz meiner Mitarbeit bei Zamorra und Damona King eher wenig am Hut gehabt. Aber das war eher förderlich als hemmend, und so entstand der erste Rohentwurf zu Vampira. Die Heldin wurde Lilith Eden getauft, und wir stellten sie uns in etwa wie die junge Isabelle Adjani vor, von der ich großer Fan war und bin. Auch die weiteren Figuren wie Duncan Luther oder Elisabeth „Beth“ MacKinsey waren schnell skizziert bzw. ergaben sich aus der Handlung heraus.
Im Romanheft waren Vampira dann 50 Folgen beschieden, in der Taschenheft-Fortsetzung 60 weitere und in der anschließenden Buchfortführung bei Zaubermond immerhin noch 17 Hardcover, die die Saga weiter und weiter erzählten.
2003 folgte dann mit Bad Earth meine zweite selbst entworfene Serie für Bastei, und endlich, endlich durfte ich mich in der „Umgebung“ austoben, mit der meine „Leser-Karriere“ begonnen hatte: in der Science Fiction. Dem ging der dritte. Für mich legendär gewordene Anruf voraus, diesmal zwischen Peter Thannisch und mir, in dem es eigentlich um Jerry Cotton ging. Aber irgendwie kam dann noch ein Schlenker von meiner Seite, indem ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass Bastei im Romanheft seit Jahrzehnten nichts mehr auf dem reinen SF-Sektor herausgebrachte. Die erfolgreiche Maddrax-Serie enthält zwar ebenso SF-Elemente wie etwa Professor Zamorra, aber eine Space Opera im klassischen Sinn gab es nicht im Repertoire.
Peter brachte mich mit seiner Reaktion doch leicht aus dem Konzept. Zum einen pflichtete er mir bei und zum anderen fragte er lapidar: „Hättest du denn eine Idee für eine neue SF-Serie?“
In dem Moment hatte ich die noch nicht, nicht einmal vage. Aber ich war nicht so verrückt, das zuzugeben. Wir einigten uns darauf, dass ich einen Grobentwurf einreichen sollte und er dann schauen wollte, ob sich etwas in der Richtung anstoßen ließe. Das darauf folgende Wochenende nutzte ich dann, um eine Serie zu skizzieren, wie sie mich selbst begeistern würde, schickte das Ganze in den Verlag… und erhielt zu meiner völligen Überraschung schon wenige Tage später die Zusage: „Das machen wir!“ Bei einem Treffen im Verlag wurde das Ganze dann konkretisiert. Rainer Delfs war zu dem Zeitpunkt noch mit an Bord, aber schon dabei, den Staffelstab an seinen Nachfolger Peter Thannisch zu übergeben. Das Buch, das er mir zur Background-Recherche schenkte, steht heute noch in meinem Bücherregal: „Das Universum in der Nussschale“ von Stephen Hawking, der ja leider gerade verstorben ist.
Verabredet wurde, dass ich die Serie komplett steuern sollte, wozu auch die Autoren-Auswahl, das Lektorat, die Leserseite und das ganze Drumherum (Titelbilder, Website und dergleichen) gehörte. In meinem Eifer sagte ich das alles zu, musste in der praktischen Umsetzung aber feststellen, dass mir das „Komplett-Paket“ doch schnell über den Kopf wuchs, sodass ich mich so ab Band 6 oder 7 herum nur noch aufs eigene Schreiben und die Exposés konzentrierte – was mir und der Serie guttat –, der Rest wurde verlagsintern abgewickelt.
Auch wenn Bad Earth nur zwei Jahre im Heft lief, begleitet mich die Serie doch auch heute noch. Nach ihrer Einstellung am Kiosk führte der Zaubermond Verlag sie immerhin bis Dezember 2015 im Hardcover und Taschenbuch fort, mit jeweils vier Titeln pro Jahr, und seit Dezember 2017 erscheint die originale Heftserie in einer schön aufgemachten Ebook-Version bei Bastei Entertainment.
Aktuell konzentriert sich meine Schreibarbeit wieder mehr auf den Horrorsektor, wo ich unter meinem Pseudonym Adrian Doyle versuche, der seit Jahrzehnten laufenden Professor Zamorra Serie auch heute noch neue, spannende Aspekte hinzuzufügen.
Privat führe ich ein eher unaufgeregtes Leben im Südwesten der Republik, reise gerne mit Frau und Hund Oskar durch die Weltgeschichte und staune, was unsere mittlerweile längst erwachsenen Kinder schon in jungen Jahren alles auf die Beine gestellt haben.